Geschichte der Hängematte
DIE WIEGE DER MENSCHHEIT
Eine Kuriosität der Antillen wird den Matrosen zum geliebten Bett. Die Hängematte ist hygienisch und leicht - und sie soll sogar vor Seekrankheit schützen.
Von Maik Brandenburg
„Ihre Betten und Decken sind wie Netze aus Baumwolle", wunderte sich Kolumbus am 17. Oktober 1492 in seinem Logbuch. Wenig später notierte er erstmals die Bezeichnung dieses merkwürdigen Schlafnetzes": hamaca, ein Wort aus der Sprache der Taíno, der frühen Antillenbewohner. Vielleicht ließ sich der berühmteste Falschfahrer noch in jener Nacht selbst in solch ein Netz nieder. Wie auch immer, der nächste Morgen war auf jeden Fall eine Erweckung: Hier, an den Gestaden der Neuen Welt, erhob sich die christliche Seefahrt endlich aus dem Dreck.
Denn mit Kolumbus' Entdeckung wurde die Hängematte zum Bett der Matrosen. Lange genug lagen sie auf Säcken mit Laub, auf bloßem Stroh oder bestenfalls auf Matratzen aus Pferdehaar, und jegliches begann schon wenige Tage nach der Abfahrt zu faulen. Laken verbargen da nur das Ärgste, die üblen Gerüche deckten sie kaum. Zumal verschiedenste Keime die Schlaf- zu Brutstätten schlimmster Krankheiten machten. Selbst auf den gar nicht so blanken Planken schlief es sich gefährlich, gerade da: Noch lange nach Kolumbus war es üblich, den lebenden Proviant in den Mannschaftsquartieren zu hüten. Schwankte das Schiff bei Nacht allzu heftig, schürften sich die Schläfer auf kotverseuchten Holzböden das Fleisch auf. „Der Tabak ist feucht, mein Bett ist eine Kloake", schrieb ein entnervter Matrose jener Tage in die Heimatpost.
Eine Revolution sei darum die Hängematte gewesen, schreibt Josef Köpf. Der Deutsche betreibt in Brasilien eine Fabrik für Hängematten, er ist zugleich ein profunder Kenner ihrer Geschichte. Nicht nur, sagt er, dass sie den Liegenden aus Schmutz und Moder barg. „In den frei schwingenden Hängematten liegt der Ruhende ungleich ruhiger und sicherer als auf einem Lager, das sämtliche Bewegungen des Schiffes mitmacht, denn sie können zumindest einen Teil des Rollens des Schiffes ausgleichen." Letzteres klingt tatsächlich revolutionär, soll es doch eine gefürchtete Pein therapieren, die Seekrankheit. „Wenn es möglich ist, sollte in einer Hängematte, die die Rollbewegungen des Schiffes ausgleicht, geschlafen werden", rät der Arzt Gerhard Boecken vom Schifffahrtsmedizinischen Institut der Marine in Kiel. Kolumbus' Möbel - es gehört in jede Bordapotheke.
In Köpfs Buch „Die Hängematte" nimmt das Kapitel Seefahrt allerdings nur wenig Platz ein. Denn eigentlich ist das „Schwebebett" eine Erfindung mittel- und südamerikanischer Landratten. Bereits die frühen Indianer schliefen darin - so wie sie in ihr über Land reisten, ihre Kinder zeugten und gebaren, wie sie darin genasen, starben und beerdigt wurden. Genaue Daten über das Alter der Hängematte sind nicht zu erbringen, ein vorkolumbisches Geflecht wurde noch nicht gefunden - die Gewebe aus organischen Fasern zersetzen sich eben sehr schnell in den Tropen. Doch es gibt Schätzungen: Die Besiedlung Mittelamerikas ist vor über 30 000 Jahren anzunehmen, rund 20 000 vor Christus schlugen sich die ersten Indianer durchs Dickicht an Amazonas und Orinoko. Wahrscheinlich, sagt die Ethnologin und Textilforscherin Annemarie Seiler-Baldinger, hatten sie schon Hängematten im Gepäck. Dort vor allem existiert heute eine Vielzahl an Mustern und Techniken, die eine sehr lange Tradition voraussetzen. Die Hängematte, so scheint es, ist die eigentliche Wiege der Menschheit.
Der Stoff, aus dem die ersten Träume waren, besteht immer noch aus den Blättern von Lianen, aus Agaven, Palmen, später auch aus Baumwolle. In den kälteren Regionen, etwa in Nordkolumbien, wurden auch Leder und Tierhaare verwendet.
Mit Kolumbus, Amerigo Vespucci und anderen Entdeckern gelangten die Kuriositäten des Urwalds rasch nach Europa. Dort bestaunte sie der Hochadel auf diversen exotischen Partys. Doch schon ein gutes halbes Jahrhundert darauf ergeht es der Hängematte wie später der Kartoffel - beide stammen aus der gleichen Gegend, bei beiden wird der Ursprung vergessen. Anlässlich eines „brasilianischen Festes" am Hof Heinrichs II. schreibt der verblüffte Michel de Montaigne, die Hängematten seien „so wie diejenigen auf unseren Schiffen" - als wären sie eine Erfindung der Alten Welt.
Ende des 16. Jahrhunderts dann schaukelten die Matrosen der elisabethanischen Marine befehlsgemäß in den „brazilian beds". Wenig später schlummerte die gesamte europäische Flotte in den geflochtenen Kojen. Neben den hygienischen Vorteilen war es vor allem ihr platzsparender Effekt, der den Durchhängern den Durchbruch brachte. Nun wurde der Luftraum unter Deck erobert. Manchmal in den denkwürdigsten Umständen: Charles Darwin etwa hing fünf Jahre lang nächtens quer über seinem Arbeitstisch, anders wäre kein Platz gewesen zwischen Büchern, Kommode und Instrumenten. Zwar setzte ihm die jahrelange Hängepartie arg zu, doch er wusste: Die Stärksten und Angepassten überleben jede Lage.
In der royalen Kriegsmarine gehörten die Matten zum Bordinventar. In die Seesäcke der Handelsmatrosen kam zu Buddel und Priem immer auch die eigene Hängematte. Die frühen Matten nahmen nicht mehr Platz als eine große Flasche Rum ein. Später waren sie aus gröberem Segeltuch, in eigens gefertigten Säcken trugen die Seeleute ihr Lager an Bord. Und manchmal mit in die Ewigkeit: Es gibt Berichte, wonach auf See Verstorbene in ihre Matten eingenäht - wobei der letzte Stich durch die Nase gegangen sein soll - und danach über Bord gelassen wurden.
Das allerdings waren Ausnahmen, üblich waren die Bestattungen im Segeltuch, bei Offizieren gern auch in der Landesflagge.
Zu jeder Nacht wurden die Hängematten neu befestigt, in der Reihe oder übereinander. Zumindest die ersten Nächte darin waren nicht immer komplikationslos. „Uns, denen das Leben an Bord eines Schiffes noch gänzlich fremd war, war, wie sich denken lässt, doch etwas komisch zu Muthe, und das erste Malheur passierte mir, als ich abends meine Hängematte besteigen wollte, ich ebenso schnell wieder herausfiel. Es will eben alles gelernt sein, und ich konnte mich damit trösten, dass es vielen anderen ebenso erging." Das schrieb Matrose Paul Roesler, der 1878 mit der kaiserlichen Marine gen Südsee segelte.
Zum „Backen und Banken" stopfte man die Schlafmaschen zurück in die Säcke oder Seekisten. Oder legte sie gleich in die Rettungsboote: Mitte des 19. Jahrhunderts zurrte die deutsche Kriegsmarine jeden Morgen Matten, Kissen und Decken zu festen Wülsten, um sie anschließend im „Hängemattenappell" zu mustern. „Nach den guten Ratschlägen unseres Korporals", schreibt Eberhard Schilling über seine Anfänge, sei es ihm gelungen, „eine einigermaßen vernünftige ‚Wurst' zurechtzumachen". Richtig verschnürt, sollte die etwa anderthalb Meter große „Wasserwurst" einen Schiffbrüchigen bis zu sieben Stunden über Wasser halten können.
Der spätere Kapitän begann seine Laufbahn 1939 auf der „Gorch Fock". Zumindest auf dem Ausbildungsschiff der deutschen Marine wird heute noch auf diese Art gepackt. Allerdings sind die Matten dort keine Rettungsmittel mehr. „Dafür haben wir längst bessere Geräte", sagt Kapitänleutnant Frédéric Strauch. Die schaukelnden Kojen sollen Platz sparen, vor allem aber sind sie eine Erinnerung an die große Zeit der Segelschiffe.
Der 29-jährige Strauch dient als I WO, Erster Wachoffizier, auf einem U-Boot der Marine, als frischer Kadett fuhr er ein paar Monate auf dem Segelschulschiff. Dort nächtigen die rund 120 Offiziersschüler noch immer in Hängematten. Tagsüber liegen die mobilen Betten in einem Stauraum, der „Hängemattenlast"; gegen Abend werden sie an Querstangen oder durch den Raum gespannten Ketten befestigt.
In zwei, manchmal auch drei Etagen hingen die Hängematten unter Deck, erinnert sich „Kaleu" Strauch, bis zu 40 Matten je Raum. „Wenn man den Arm ausstreckte, berührte man schon den übernächsten Mann." Dennoch sei er nie schlecht mit den Matten gefahren. Zum einen lag es daran, dass er sie stets richtig gespannt habe, zum anderen: „Am Ende des Tages war man immer so platt, da hätte man sonstwo schlafen können." Und bei schwerer See habe man als Offiziersschüler sogar einen Vorteil gegenüber der Stammbesatzung gehabt. „Die Matten hängen immer im Lot, da wurde man nicht so stark durchgerüttelt."
Mittlerweile ist auch Strauch Teil einer festen Crew; sein Bett hängt nicht, es steht auf „U-16". Dennoch hat auch das U-Boot eine Hängematte. „Es ist unser Notbett. Wenn alle anderen Plätze belegt sind, knüpfen wir es vor die Torpedorohre."
Auch Strauch hätte nie geglaubt, dass die Hängematte erst mit Kolumbus in die Seefahrt kam. „Sie ist doch wie geschaffen für Schiffe." Aber so ist es wohl: Manchmal muss man sehr weit fahren, um aufs Naheliegende zu stoßen.
Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Autor und leidet auf Seereisen immer fürchterlich. Bis jetzt hat noch keines der Hausmittel angeschlagen. Doch nach seiner Recherche über die Hängematte schöpft er Hoffnung. „So ein Ding brauche ich auch."